Aus dem Spiegel in der Hand ein Mikrofon


 Ms.AT4 hat gerade ihre zweite EP Close to you veröffentlicht. aus gegebenem Anlass haben wir uns neulich dann auf einen frühen Abend in Altona getroffen.

 

 

0004612427_10…die letzten Minuten des Interviewspaziergangs mündeten am Hamburger Hauptbahnhof in die Absurdität des ganz Normalen. Gerade wollte ich abschließend einen draufsetzen und mich ein bisschen darüber lustig machen, wie Authentizitäts-Geschichte schreiben im Rap funktioniert und persifliere: „wenn ich Dich jetzt dissen wollte, würde ich in Dein Profil so was schreiben, wie: die Rapperin aus Rostock, Bezirk sowieso, ist auf der selben Straße in den gleichen Platten groß geworden wie ihre lokalen Rapkollegen Pyranja und Marteria…“.  AT, die gerade auf die Rolltreppe klettert, muss unkontrolliert laut lachen, bei der Vorstellung, sich darauf zu beziehen, dass sie ja mal auf der Geburtstagsfeier der Freundin des besten Freundes von Marteria, usw…  Zwei Stufen weiter dreht sich ein wirklich bitteres Gesicht zu uns nach unten. Und in einem Tonfall zwischen Direktorin und Pastor, so trocken und aggressiv, wie man sich das nur vorstellen kann, presst sie zwischen ihren rotgeschminkten, schmalen Lippen hervor. „So lacht ein Mädchen aber nicht!“ „So lacht ein Mädchen nicht?“ kontert AT teils provoziert aber vielmehr noch amüsiert,  „darf ich mal fragen warum?“ „Das mögen die Männer nicht.“ „Ach ja?“ „Nein, das mögen die Männer nicht.“ True story. Darauf erstmal ein Bx Gold (#frauenbier) zwischen die zehn Minuten, bis AT’s Regionalzug nach Lübeck einfährt.

 

 

 

Dort lebt sie mit ihrer Freundin und arbeitet als Lehrerin. Während des Referendariats wurde ihr am Kneipentisch von einem Kollegen empfohlen, dass gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder haben wollen, doch besser woanders hinziehen sollten. Und wohin? Na dorthin, wo es mehr davon gebe, zum Beispiel nach Hamburg Altona. Denn in der Provinz würde das die anderen ja schon stören und die Kinder (der Normalen) auch zu sehr irritieren… sigh.

 

Ms. AT4 kommt aus und bleibt in der nordeutschen Provinz, against all odds. In Rostock findet sie als Teen einen Plattenladen, verliebt sich in HipHop, kauft das Vinyl, „Ich brauchte ja auch die Instrumentals, um darauf schreiben zu können“ und entwickelt offenbar völlig unbeeindruckt von allen Rollenzuschreibungen eine englische Schreibe auf Beats, die sich mit der Zeit in stabile Flowvarianten verwandelt hat. Warum Englisch? „ich mochte die Sprache einfach gerne. Und sie war das, was ich mit Hip Hop verband. Ich habe manchmal auch das Gefühl, mich in English schöner ausdrücken zu können. …und außerdem konnten mich meine Eltern dann nicht verstehen, wenn ich zu hause in meinem Kinderzimmer geschrieben und gerappt habe.“  Und warum schreibst Du überhaupt, wie bist Du drauf gekommen? „Ich hab das Gefühl, ich muss das einfach machen! Und jetzt will ich einfach immer besser werden mit meinen Flows und den Rhymes. Das ist meine Motivation.“  hmmm, was eine schöne Antwort. Und mal ehrlich: wie viele Mädchen und junge Frauen* kennt ihr, die selbst in den Plattenladen gehen und sich einen eigenen Musikgeschmack entwickeln und zusammen stellen? Deren Playlist nicht von den Charts oder Boyfriends gefüllt wird? Die sich so zielstrebig beatgrundlagen für ihre Lyrics besorgen? Fiva MC hat in einem Interview vor vielen Jahren mal beschrieben, wie sie ihre überspielten Tapes am Anfang der Songs immer zurückgespult hat – die ersten 4 Takte sind ja meistens instrumental, ohne Lyrics – um so an Beats zum drauf schreiben zu kommen. Gut, dass es in Rostock diesen Plattenladen gab, gut dass AT dort reingelaufen ist und nach Hause gebracht hat, was ihr gefiel.

 

In Kiel, während der Studienzeit, traf sie schließlich ihre Beatproduzenten, darunter auch Lars Minute, mit dem sie ihre beiden EPs 4reignness (2012) und Close to you (2015) gebaut hat. Die Zweite ist gerade diesen Februar erschienen. Ihr Cover zeigt eine wunderschön geformte Frauenstatue aus Stein. „Ich finde diese Frau so schön, und sie erinnert mich an meine Freundin.“ In der rechten Hand hält die Figur einen Griff. Das war mal ein Spiegel, der ist aber abgebrochen. So sieht es nun aus, als habe sie ein Mic in der Hand…