Tor Cesay macht Rap die Ehre Poesie zu sein


Vor fast zehn Jahren sah ich Tor Cesay live in Berlin. Gehört habe ich sie an dem Abend kaum. Das Konzert ging nämlich im Testosteron und Egohype gepushten Gehabe der frühen New Era Crowds der damals neuen Spreeclubs unter. Bis dato hatte ich keine derart anstrengende Show erlebt in der das Publikum und der “DJ” gemeinsam die Künstlerin von der Bühne spielten. Erstere mit purer Ignoranz, letzterer mit aufgeblasenen Spins and Breaks, die nirgendwo hinpassten. Ich habe den falschen Krach noch heute in den Ohren…

 

Umso mehr wünsche ich der Rapperin in Zukunft nur noch Bühnen, die ihr Talent und ihre liebevolle, starke Art zu tragen wissen, mit der sie aufmacht, wo andere feige sind und offen zeigt, worum es ihr geht. Die musikalische Richtung und akustische Umgebung, in der sich ihre Stimme und Lyrics im Moment bewegen, sind da in jeder Hinsicht wegweisend:

 

 

Seit ihrem debut Release Strivin‘ auf dem OST des teenage power Streifens Fast Girl (UK, 2006) hat Tor konstant und geduldig an ihrem Können, Status und Output gearbeitet. Das Ergebnis davon sind weder große Bekanntheit noch Tonnen an Klicks. Dafür ist ihr dann aber auch kein strategisches Format über die Ohren gewachsen und sie kann heute mit Qualität beeindrucken, statt unter dem (Ein)Druck eines One-Hit Effects irgendwelche Erwartungen wieder einholen zu müssen.

 

Auf dieser soliden Basis bauen seit letztem Jahr ihre EP Releases auf – A Pinch of Salt (spring 2014) und Journals: The 3P (autumn 2014, visuals 2015) – , die man mit Freude weiter empfehlen kann. Erste Etappe: bien fait.

 

“See, I could rap in double time, but I rather do it simply”. Kein Beweisdruck mehr, der Technik Check funktioniert bei Tor subtiler: “Syllables that intricately symbolize that intimacy / of a man’s ability to rap on beats so skillfully” (Remedy). Um zu sagen: pure Technik, die einen Motor antreibt, der eine Maschine leer am Laufen hält, die beeindruckend viel Krach macht, aber wo hinten nichts bei raus kommt, zeigt nicht mehr als das naive Rufen eines Kindes “guck mal, ich kann was”. Tor dagegen zeigt, dass sie das groß werden ernst meint und teilt in ihrem aktuellen Release Journals: The 3P auf wundersame Weise lyrisch runtergebrochene Lebenserfahrung, Beobachtung und Reflektion in angemessener Größenordnung und macht damit Rap die Ehre Poesie zu sein.

 

Wer dennoch Bock auf mehr Geschwindigkeit und Geballer hat, dem sind Different Place (2010) und Lose My Cool (2011) zu empfehlen, beide von BBC 1Xtra ihrerzeit als #Mixtapes of the Month gerated, beide als free download auf ihrer Website zu finden. Der aktuelle Technikkatalog wird hier in allen Anforderungskategorien auseinandergerissen, beide Tapes lassen sich außerdem selbstverständlich wunderbar im Auto aufdrehen.

 

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